Sizi­lia­ni­scher Barock — For­men­reich­tum als Lebensprinzip

Sizi­li­en ist nicht nur das Land, wo die Zitro­nen und die Oran­gen blü­hen, son­dern als zen­tra­le Welt­in­sel im Mit­tel­meer auch Schau­platz vie­ler riva­li­sie­ren­der und sich gegen­sei­tig befruch­ten­der Kul­tu­ren seit dem Alter­tum gewe­sen. Die sizi­lia­ni­sche Kul­tur hat so im Lau­fe der Jahr­hun­der­te eine beson­de­re Aus­for­mung erhal­ten, die inner­halb Ita­li­ens ein­ma­lig ist. Eine her­aus­ra­gen­de Epo­che war die Herr­schaft der spa­ni­schen und nea­po­li­ta­ni­schen Bour­bo­nen, die vom Beginn der Neu­zeit im 16. Jahr­hun­dert bis zur Mit­te des 19. Jahr­hun­derts reich­te und kur­ze Zwi­schen­zei­ten der Habs­bur­ger- und Fran­zo­sen-Herr­schaft ein­schloss. Die­se Zeit des höfi­schen Abso­lu­tis­mus, die wir Barock nen­nen, war geprägt von der Durch­set­zung der katho­li­schen Reform nach dem Tri­en­ter Kon­zil und der damit ein­her­ge­hen­den Neu­aus­rich­tung der Archi­tek­tur­spra­che und der gan­zen Lebens­kul­tur. Der schwe­re Ätna-Aus­bruch von 1669 und das ver­hee­ren­de Erd­be­ben von 1693 waren die epo­cha­len Natur­ka­ta­stro­phen die­ses Barock­zeit­al­ters und Anlass, vor allem im Osten und Süd­os­ten der Insel die­ser neu­en Bau­wei­se und mit ihr alle künst­le­ri­sche Aus­drucks­form und Welt­an­schau­ung zum Durch­bruch zu ver­hel­fen. Vier Pha­sen unter­schei­det man inner­halb die­ser Epo­che, die von Archi­tek­ten­na­men wie Alon­zo di Bene­det­ti und Ste­fa­no Ittar, aber vor allem von Gio­van­ni Bat­tis­ta Vac­ca­ri­ni in Cata­nia, Andrea Pal­ma in Syra­kus und Gia­co­mo Ama­to und Gia­co­mo Ser­potta in Paler­mo geprägt sind. Abhän­gig von den gro­ßen Barock­zen­tren Rom, Nea­pel und Wien, schu­fen sie für Sizi­li­en eige­ne Lösun­gen und oft­mals fas­zi­nie­ren­de Neu­schöp­fun­gen. Das Außer­ge­wöhn­li­che jeder Sizi­li­en­rei­se sind dabei die über­rei­chen wie ver­spiel­ten, gro­tes­ken wie über­schweng­li­chen und phan­tas­ti­schen wie kunst­vol­len Bau­de­ko­re und Orna­men­te. Ihre star­ke und bis­wei­len grel­le Aus­drucks­form ist Spie­gel der pral­len Lebens­freu­de ihrer Schöp­fer und aller Men­schen auf Sizi­li­en, die ihren Ursprung weit vor dem Barock­zeit­al­ter in der anti­ken Geschich­te hat, als die Insel zum groß­grie­chi­schen Kul­tur­raum gehör­te. Der Vor­trag will dar­um die lan­ge Tra­di­ti­ons­wir­kung von bestimm­ten Form­prin­zi­pi­en und Schmuck­wei­sen auf­zei­gen und erklä­ren hel­fen. Nicht zu unter­schät­zen sind dabei die Mecha­nis­men der Sozi­al­struk­tu­ren und die Fak­to­ren ihres Ein­flus­ses auf die Ent­schei­dungs­trä­ger einer neu­en Bau­kul­tur, Adel und Kir­che, die vie­le Hafen­städ­te und beson­ders den Ost­teil Sizi­li­ens gründ­lich neu­form­ten. Der Vor­trag hat den Osten und Süd­os­ten mit den fas­zi­nie­ren­den Hafen­städ­ten Cata­nia und Syra­kus und die Barock­me­tro­po­len Modi­ca, Ragusa und Noto als Mit­tel­punkt zum The­ma, berück­sich­tigt aber auch aus­ge­wähl­te Orte und Gebie­te im Wes­ten oder Nor­den wie die Haupt­stadt Paler­mo. Schließ­lich gilt unser Augen­merk der Küns­te der All­tags­kul­tur, die die­sen sin­nen­freu­di­gen Schmuck­reich­tum zum Lebens­prin­zip erhob, wie wir etwa in Vis­con­tis Ver­fil­mung des Romans „Il gat­to­par­do“ von Lam­pe­du­sa sehen und die ihm in der kuli­na­ri­schen Deli­ka­tes­se und den Ver­zie­run­gen der Dol­ci (Süß­wa­ren) zum Höhe­punkt verhalf.